Unsere Stellungnahme zur Diskussion um die Einführung eines Landes-Jugendparlaments

Die Kolpingjugend begrüßt ausdrücklich das Anliegen der neuen NRW-Landesregierung die Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der kommenden Legislaturperiode zu verstärken.

Wir halten aber das im Koalitionsvertrag dafür vorgesehene Instrument des unabhängigen und direkt gewählten Landes-Jugendparlamentes, welches über ein Antragsrecht gegenüber dem Landtag verfügen soll[1] für falsch und sprechen uns gemeinsam gegen eine Einführung aus.

Folgende Gründe sprechen gegen ein Landes-Jugendparlament:

Keine neuen Zielgruppen – Ein Landes-Jugendparlament ist eine hoch formalisierte Form der Kinder- und Jugendarbeit. „Politik-affine” Jugendliche haben bereits heute Zugangs- und Partizipationsformen gefunden. Jugendliche aus einem sozial-schwachen Umfeld und „politik-ferne” Jugendliche werden sich mit einem Landes-Jugendparlament kaum ansprechen lassen. Um diese Jugendliche zu erreichen bedarf es niederschwelliger Angebote. Somit bliebe das Landes-Jugendparlament vermutlich eine Versammlung der Jugendorganisationen der Parteien.

Partizipation findet bereits statt, muss aber stärker wahrgenommen werden – Bereits heute vertreten zahlreiche Jugendliche und Jugendorganisationen Ansichten zu vielfältigen Themenbereichen (z. B. zu Umwelt, Bildung und Verkehr). Im Landesjugendring ist eine große Bandbreite von gesellschaftlichen Strömungen vertreten, aber nur Jugendpolitiker*Innen nehmen diese Organisationen als kontinuierliche Ansprechpartner wahr. Die Politiker*Innen müssen auf die Jugend zugehen. Politiker*Innen aller Ressorts müssen die Ideen von Kindern und Jugendlichen wahr- und ernstnehmen.

Doppelstrukturen sind schädlich – Kinder und Jugendliche haben eine ohnehin schon schwache Lobby bei uns. Weitere Doppelstrukturen zu Landesjugendring, Kinder- und Jugendrat NRW und der Landesschüler*Innenvertretung sind zu vermeiden. Zu viele Ansprechpartner*Innen und unklare Kompetenzen schwächen die Stellung von Kindern und Jugendlichen weiter.

Fehlende Lebensweltorientierung – Auch wenn durchaus Themen und Inhalte gefunden werden, die Kinder und Jugendliche mittelbar betreffen, so muss methodisch an die Erfahrung der Kinder angeknüpft werden. Dafür scheint ein Landes-Jugendparlament auf Landesebene nicht das beste Mittel zu sein. Parlamentarismus ist kein Bestandteil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen.

Ein Parlament ist kein geschützter Raum für Kinder und JugendlicheEin Jugendverband ist ein geschützter Raum, um politische Erfahrungen zu sammeln. Diesen geschützten Raum sehen wir bei einem Landes-Jugendparlament nicht. Zudem können Kandidierende Opfer von Anfeindungen und Mobbing werden, weil sie mit einer Kandidatur zur Person des öffentlichen Lebens werden. Mobbing kann damit ganz neue Dimensionen erreichen.

Instrumentalisierung durch Unternehmen und Lobbyisten – Ein Landes-Jugendparlament mit Antragsrecht läuft Gefahr von Unternehmen und Wirtschaftslobbyisten instrumentalisiert zu werden. Jugendliche sind hiervor zu schützen! Diesen Schutz umfangreich zu gewährleisten scheint nicht gegeben zu sein.

Im Falle der Einführung eines Landes-Jugendparlamentes müssen zahlreiche Fragen und Notwendigkeiten berücksichtigt werden:

Pädagogische und Fachliche Begleitung für Nachhaltigkeit – Für ein Landes-Jugendparlament, das nachhaltig und langfristig wirken soll braucht es ausreichend Begleitung. Schnell können Ideen ausgebrannt oder Jugendliche demotiviert sein, wenn sie in ihrem freizeitlichen Engagement keine Wirkung erfahren. Nicht nur die Sitzungen an sich bedürfen der Begleitung, auch Ausschüsse und Arbeitsgruppen, brauchen wiederum Begleitung. Die Kosten für die Begleitung scheinen sehr hoch zu sein, aber absolut notwendig, wenn Partizipation stattfinden soll.

Folgenlose Partizipation – Auch mit der Ausstattung eines Antragsrecht, können die Entscheidungen des Landes-Jugendparlamentes im Sande verlaufen und die Partizipation bliebe weiterhin folgenlos. Kinder und Jugendliche lassen sich für Ehrenamt begeistern, wenn sie erfahren, dass ihr Engagement etwas bewirkt. Wie kann nachhaltiges Wirken also ermöglicht und gesichert werden?

Stimmrecht im Landtag – Warum dürfen Jugendliche nur einen Antrag stellen im Landtag nicht aber darüber abstimmen? Diese Trennung kennt der aktuelle Landtag nicht und entspricht nicht der üblichen Praxis. Kann ebenfalls eine verständige und nachvollziehbare Wahl- und Geschäftsordnung für Jugendliche gelingen, die Teil der parlamentarischen Kultur ist?

Erreichbarkeit und Mobilität – Wie können auch Kinder und Jugendliche an solch einem Parlament partizipieren, wenn sie aus dem ländlichen Raum kommen und vom ÖPNV abhängig sind? Was ist ein zumutbarer zeitlicher Aufwand der Anreise und Teilnahme an den Sitzungen des Landes-Jugendparlamentes teilzunehmen? Wie soll neben der Ganztagsschule dieses zeitintensive Amt ausgeübt werden? Die Lebensweltorientierung wird hierbei verfehlt. Vielmehr müssen vor Ort Freiräume für non-formale Bildung geschaffen werden.

Wahlalter und Altersstufengerechtigkeit – Wer wählt ab welchem Alter, an welchem Ort? Gibt es eine Begrenzung für Mitglieder und Wahlberechtigte nach unten wie nach oben? Wie sieht es mit der Mündigkeit von unter 14-Jährigen aus? Wie können die unterschiedlichen Interessen und Möglichkeiten der Altersstufen bedacht werden?

Rückbindung und Verantwortung – Wie geschieht die Rückbindung der gewählten Vertreter*Innen an den eigenen „Wahlkreis“? Vor wem müssen sie sich verantworten und Rechenschaft ablegen?

Persönlichkeitsschutz bei passivem Wahlrecht – Für ein direkt gewähltes Parlament müssen die Kandidierenden Wahlkampf betreiben. Wie werden sie hierbei unabhängig von den Parteien unterstützt und geschützt? Ist es z. B. legitim, wenn Plakate von Kandidierenden in der Stadt und im Land hängen?

Unsere Ansätze für mehr Partizipation von Kindern und Jugendlichen:

Partizipation im bestehenden Alltag ausbauen – Für den Ausbau von Partizipation ist es wichtig, dass formale und non-formale Bildung besser miteinander kooperieren. Daher bedarf es der Entwicklung eines schlüssigen und einheitlichen Ganztagskonzeptes, das Rahmenbedingungen für eine gelungene Kooperation von Jugendverbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen mit Ganztagsschulen berücksichtigt.

Jugendparlamente vor Ort stärken – Jugendparlamente sind an vielen Orten bereits eingerichtet. Hier wäre eher eine Stärkung erforderlich, als weitere abstrakte Ausformungen zu entwickeln. Vor Ort können die Jugendlichen eigene Themen aus ihrer Lebenswelt setzen und schneller die Auswirkungen ihrer Entscheidungen überblicken.

Mehr Programme wie #jungesnrw – Die Aktion #jungesnrw des Landesjugendrings zeigt eindringlich wie schnell und einfach mit niederschwelligen Angeboten viele Jugendliche erreicht werden können. Die Resonanz verdeutlicht, dass hier noch mehr gefördert werden muss und so mehr Partizipation erreicht werden kann.

Jugendlandtag aufwerten – Das Format des Jugendlandtags bildet für die Jugendlichen mit Interesse an Politik eine gute Möglichkeit sich in diesem Bereich auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Diese Veranstaltung kann aufgewertet und verbindlicher gestaltet werden.

Wahlalter senken – Wenn ein Landesjugendparlament direkt gewählt wird und aus dieses Anträge an den ordentlichen Landtag stellen kann, kann das Wahlalter auch direkt gesenkt werden. Diese Form von Partizipation scheint einfacher zu sein.

 

Beschlossen von der Landeskonferenz der Kolpingjugend Nordrhein-Westfalen am 29. Juni 2018 in Düsseldorf.

Download als PDF Position Landes-Jugendparlament

[1] NRW Koalition, Koalitionsvertrag für NRW 2017 2017–2022, S. 98.